Thies tröstet das Team

Die Deutschen Pokal-Meisterschaften in Berlin aus der Sicht des HSK

 

 

Eigentlich wollte ich Thilo Gublers bebildertem Internet-Jubel über den zweiten Titelgewinn des SC Baden Oos innerhalb einer Woche nicht zuvorkommen, aber da wir im Bundesliga-Portal ein paar Tage nach dem Berliner Event – und es war eines – bereits auf das letzte Bundesliga-Wochenende mit de Meisterschaftsentscheidung vorausschauen, möchte ich doch – aus zugegeben begrenzter HSK-Sicht noch einmal auf das Pokal-Finale in Berlin zurückschauen.

Gegen 22 Uhr am Freitag, 21. März, fuhren Jan Gustafsson und ich nach unserer Ankunft in unserem Hotel in Berlin-Lichtenberg noch ins Spiellokal, um zu sehen, wie’s Thies im Viertelfinale ging. Auf halber Strecke erreichte uns Lubos Anruf: Thies war längst auch nach seinem Erstrundensieg im Hotel angekommen.

Da sollte es die Mannschaft in unserer 1. Runde, dem Halbfinale, schwerer haben. Nach der Auslosung der Paarungen mit Spielkarten – ich zog Kreuzkönig, Thilo Gubler Herzkönig mit Schwarz am 1. und 4. Brett für den SC Baden Oos – hatten wir zwei Minuten, unsere Aufstellung festzulegen. Lubomir hatte beim Mittagessen angeboten, mit Schwarz zu spielen. Nun schlug Jan vor, selbst mit Schwarz an Brett 2 wieder wie schon in Lübeck gegen Krasenkov zu spielen – gegen Swidlers Gründfeldindisch könne er nichts ausrichten. Lubomir nahm also wieder den größeren Brocken auf sich, und so gab es an Brett 1 und 2 eine Neuauflage der letzten Bundesliga-Runde. Ein wenig verschoben waren die Paarungen an Brett 3 und 4, Sune Berg Hansen spielt statt Emanuel Berg gegen Rustem Dautov und Karsten Müller ersetzte Sune gegen Robert Hübner.

Nach zwei Stunden meinte Robert Rabiega: "Es steht gut für Euch! Karsten macht jetzt Remis, Sune ist schon Remis – Dautov hat nichts erreicht: gegen meine Eröffnung! Lubomir steht gut gegen Swidler. Und Jan hat die Stellung, die er braucht."

Eine halbe Stunde später nach der angekündigten Zugwiederholung zwischen Karsten Müller und Robert Hübner kam Rafael Vaganian, der die Porzer gegen den SC Friesen Lichtenberg mit 1:0 in Führung gebracht hat, auf mich zu: "Hamburg gewinnt heute! Ftacnik steht auf auf Gewinn – f4-f5 und Matt, und Gustafsson steht jetzt auch gut!" "Wir spielen gerne morgen gegen Euch!" sagte ich, konnte es aber noch nicht recht glauben.

Nach drei Stunden Uhr opferte Lubomir auf g6 einen Läufer für einen Bauern und zerstörte die schwarze Rochade. Wenn er nun noch seinen Sg3 hätte nach f6 bringen können! Doch Svidler, der die ganze Partie über weit mehr Zeit verbraucht hatte, entwickelte in der geöffneten g-Linie im Zusammenspiel seines Tg8 und des weißen Läufers ein starkes Gegenspiel gegen g2, das den Sg3 band und das in manchen Varianten auch noch durch Dc2 hätte verstärkt werden können. Aus der Überlegung heraus, dass der Wettkampf ohnehin an Brett 1 entschieden würde, bot Jan inzwischen in einer offenen Stellung Remis, aber Michael Krasenkov lehnte ab. Schließlich hatte auch Lubomir viel Zeit verbraucht, während Svidler sein Gegenspiel immer selbstsicherer aufzog und wieder Zeit für seine Spaziergänge hatte, die während der ganzen Partie seltener und zugleich nervöser gewesen waren als sonst. Mit knapper Zeit entschloss sich Lubomir zur Zugwiederholung, so dass allgemein mit einem Blitzentscheid gerechnet wurde. Doch da griff Jan im 38. Zug mit noch einer Minute Bedenkzeit im Turmendspiel fehl und geriet mit K+T gegen K, T + 2 Randbauern in eine Verluststellung geriet. Obwohl er den gegnerischen König auf der 1. Reihe festhalten konnte, wäre der Marsch einer der Bauern nicht aufzuhalten gewesen: 1 ½ : 2 ½. Der SC Baden Oos, im Schnitt 96 ELO-Punkte besser als wir, hatte das Finale gegen die SG Porz erreicht, die nach z.T. harten und langem Kampf den Ausrichter SC Friesen Lichtenberg 3 ½ : ½ schlu-gen (bei einem Remis von Alexander Khalifman gegen Jakov Meister).

Mit demselben Ergebnis rangen auch wir am Sonntag die Gastgeber SC Friesen Lichtenberg nieder. Karsten Müller konnte den Isolani seines Gegners, des früheren Fernschach-Weltmeisters Dr. Fritz Baumbach, in einem Schwerfigurenendspiel nicht erobern – Weiß hatte Kompensation in seinem guten Figurenspiel. Jan Gustafsson hebelte den Königsinder von Hartmut Badestein am Damenflügel aus, und Sune Berg Hansen gewann die zweite Weißpartie mit 2.b3 gegen Sizilianisch gegen Yakov Meister, der am Tag zuvor mit Weiß Alexander Khalifman gewaltig unter Druck gesetzt hatte. Der dritten Punkt holte am Spitzenbrett Lubomir Ftacnik gegen Wolfgang Thormann.

Das Endspiel der beiden stärksten Mannschaften entschied nach drei Remisen an den Brettern 2-4 ausgerechnet Peter Svidler, der im Halbfinale gegen Lubomir auch hätte verlieren können! Er griff Christopher Lutz’ Sizilianer stürmisch an, doch Christopher verteidigte sich aktiv und gut und stand nach der Eröffnung nach Peter Svidlers selbstkritischem Kommentar sogar ein wenig besser. Doch Christopher verbrauchte viel Zeit, und in der Zeitnot wickelte der sympathische Russe seinen Angriff in ein vorteilhaftes Endspiel mit einer Mehrfigur gegen zwei Bauern ab, das der Porzer kurz nach der Zeitkontrolle aufgab.

Thilo Gubler war glücklich: Nach dem überlegenen Sieg der Frauen des SC Baden Oos hat er mit seinen Teams innerhalb einer Woche zwei Deutsche Meisterschaften gewonnen!

Unser Trost war am Sonnabend war der Sieg von Thies Heinemann im Halbfinale des Dähne-Pokals gegen den früheren Freiburger Bundesliga-Spieler Christoph Herbrechts-meier, der im Viertelfinale den zweiten Hamburger Vertreter Holger Hebbinghaus (Marms-torfer SK) ausgeschaltet hatte. Die Turnierpartie zwischen den beiden endete nach spannungs-reichem Verlauf nach 34 Zügen remis, so dass Thies seine Fähigkeiten als Blitzspieler nachweisen konnte. Mit 2:0 zog er ins Finale gegen den Emsdettener Bundesligaspieler Christian Richter (in dieser Saison mit einer überzeugenden IM-Norm).

Auch im Finale hatte Thies Weiß, aber mit seinem Vierspringerspiel erreichte er nicht viel, so dass er auch wieder in den Tie-Break musste. Musste? Vermutlich war’s ihm sehr recht, denn schließlich war er 1997 Deutscher Blitzmeister und kann’s noch immer: Er gehört zum HSK-Team, das sich überlegen als Nord-deutscher Meister für die Deutsche Blitz-Mannschaftsmeisterschaft am 14. Juni in St. Ingbert qualifiziert hat. Seine Handicap-Vorstellungen in den Hamburger Einkaufszen-tren haben viele Fans beeindruckt. Auch sein Finalgegner zeigte angesichts Thies’ schnellen und entschlossenen Spiels Wirkung: Thies hatte immer mehr Zeit auf der Uhr, obwohl er in kritischen Situationen der Planfassung durchaus auch einmal länger "hineinschaute". Thies gewann die erste Partie mit Sizilianisch; sie war lange im Gleichgewicht, bis Thies im Endspiel (D+S+6B) seine Figuren im Zentrum aktiv aufstellte und im 43. Zug einen Bauern gewann. Schnell wickelte er ins Bauernend-spiel ab und führte 1:0. Mit diesem Vorsprung spielte sich die Weiß-Partie natürlich leichter. Christian Richter musste Zeit aufwenden, um einem indirekten Remisangebot auszuweichen, er hatte die deutlich schwierigere Aufgabe des Verteidigers. Als Thies im 26. Zug mit einem Figurenopfer (s. unser Titelblatt) die Rochade zerstörte, war die Entscheidung praktisch ge-fallen: Die schwarze Uhr tickte unerbittlich, eine Verteidigung war nicht zu entdecken: 2:0

Dank gebührt dem souveränen und angenehmen Turnierleiter Klaus Deventer vom DSB und dem Team des Ausrichters vom SC Friesen Lichtenberg um seinen Vorsitzenden Wolfgang Hartmann. Der Verein hat sich an den Schachbrettern gegen starke Bundesliga-Mannschaften ausgezeichnet geschlagen; die schließlich klaren Ergebnisse verdecken die z.T. harten Kämpfe in den einzelnen Partien. Die Ausrichtung der Veranstaltung im Quality Hotel Wilhelmsberg war einer Deutschen Meisterschaft würdig, wie Klaus Deventer zu Recht feststellte. Ich würde sie "bundesligareif" nennen, wenn denn alle Vereine der Bundesliga für ein solches Ambiente sorgten und sich mit so vielen Helfern auf so angenehme und freundliche Weise um ihre Gäste bemühten. Auch die Öffentlichkeitsarbeit kam nicht zu kurz: Viele Journalisten allerdings vor allem der Schachpresse waren vor Ort: Harald Fietz (für SM 64), Dagobert Kohlmeyer (für die Rochade), Dirk Poldauf (für Schach); am Sonntag kam auch das Berliner Fernsehen. Ein Meisterschafts-T-Shirt, schwarz mit weißen Bildmotiven und Schriftzügen, ist für viele eine gute Erinnerung an dieses Pokal-Ereignis wie auch das "vom SC Friesen entwickelte Plakat", das viele zahlreiche jugendliche und erwachsene Fans den Meistern mit der Bitte um Autogramme vorlegten. In der Tat wurde die Veranstaltung vom Berliner Publikum gut angenommen, die Räume "Havel" und "Spree" und auch der Analyseraum "Oder" waren eine Art Szenetreff. Die von Axel Fritz wie immer kompetent und engagiert betreute Live-Übertragung aller Partien im Internet spannte den Kreis des Publikums noch weiter über Berlin hinaus: So soll es sein! Alfred Seppelt, der Vorsitzende des Berliner Schachverbandes, lobte bei der Siegerehrung für Thies Heinemann auch den ausrichtenden Verein. Wolfgang Hartmann, der abschließend dem SC Baden Oos den Pokal überreichte, zeigte sich gern bereit, im nächsten Jahr wieder zum Pokal-Finale einzuladen. Da die Qualifikation des Oberligisten aber doch nicht so sicher ist, empfehle ich den

2. Lichtenberger Sommer, schon vom 16. bis 24. August 2003 im selben Hotel, ausgerichtet vom selben Team!

Christian Zickelbein